Diesen Spruch hat jeder schon einmal in seinem Leben gehört und für Leistungssportler ist das schon fast eher ein Credo als ein nebenher erzählter Spruch. Nach dem Jahreshöhepunkt, auf den man sich Monatelang vorbereitet und Wochenlang an nichts anderes mehr denkt, hat man meist irgendwas zwischen zwei und drei Wochen bis man wieder am Bundestützpunkt antritt und das Training wieder aufnimmt. ...
Drei Wochen also um die Batterien wieder aufzufüllen, endlich etwas Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen oder die ein oder andere verschobene Prüfung im Studium nachholen. Diese Zeit muss jeder aber auch dafür nutzen um die vergangene Saison auszuwerten. Was waren die entscheidenden Fehler? Wie kann die Planung und Vorbereitung verbessert werden? Kurzum wie soll die nächste Saison laufen.
Gerade für uns, also Silas und mich, waren das dieses Jahr ziemlich schwer zu beantwortende Fragen. Die erhofften Erfolge haben wir trotz eines deutlich erhöhten Aufwandes im Laufe der Saison nicht erreicht und wir waren demzufolge beide auch etwas unzufrieden mit den Ergebnissen. Gefühlt hat man das Jahr den Fokus stark auf den Sport gerichtet, nur um beim Segeln performen zu können. Dennoch entsprachen die Ergebnisse in der Uni bzw. FH nicht den eigenen Vorstellungen. Teilweise schaffte man es gar nicht überall teilzunehmen und da, wo man durchkommt hängen die Noten den eigenen Erwartungen hinterher. Von dem sogenannten Studentenleben hat man auch erst recht wenig kennengelernt. Für diesen Aufwand hat man sich natürlich entschieden, aber wenn es sich nicht auszahlt, kommt man verständlicher Weise ins Grübeln.
Genau das ist bei uns nach dem diesjährigen Jahreshöhepunkt am Gardasee in Italien passiert. Schon mit der letzten Wettfahrt war uns beiden ziemlich klar, dass es jetzt eine Veränderung brauchte um weiter zu segeln, so man dies überhaupt beabsichtigte. Nach sechs gemeinsamen Jahren, bei denen man gefühlt alles durchgemacht hat, was sich in einer sportlichen Beziehung vorstellen lässt, unsere ehemaligen Trainer werden jetzt mit Sicherheit schmunzeln. Kennt man sich wirklich sehr gut. Man weiß, wann man den anderen in Ruhe lassen sollte, man bekommt selber seine ruhigen Momente und man weiß auch wann man als Team seine Grenzen erreicht hat. Kurzum wir waren sportlich an unserem bisherigen Tiefpunkt angelangt.
Schon übers das Jahr hinweg konnten wir häufig unsere Leistungen aus dem Training nicht wirklich abrufen. Im Ganzen gesehen haben wir zwar Fortschritte gemacht, konnten diese aber nicht bei Regatten zeigen. So hatten wir auch zum Jahreshöhepunkt mit unserer Wettkampfform zu kämpfen. Letztendlich haben wir es zwar geschafft unser Ergebnis aus dem letzten Jahr zu bestätigen, was uns aber kaum zufrieden stellte und so beendeten wir den letzten Lauf mit ziemlich hängenden Gesichtern.
Wieder an Land, beim Verpacken der Boote, kam dann Hendrik Ismar, unser Bundestrainer, mit einer Idee für uns um die Ecke. Eine Idee, die keine sofortige Antwort verlangte und allen Betreffenden viel Zeit zum Nachdenken abverlangte. Der Grundgedanke war es, zwei Teams aus der Kieler Trainingsgruppe zu vermischen und so die Perspektive beider zu erhöhen. Neben uns betraf diese Idee noch die Brüder Tjorben und Hjalte Studt, die ein Jahr nach uns an den Bundestützpunkt nach Kiel gezogen sind und seit dem mit uns eine Trainingsgruppe bilden. Sie haben sich parallel zu Silas und mir 2011 als Team zusammengefunden und konnten im 420er bereits eine Deutsche Meisterschaft und eine WM-Teilnahme feiern. Die angestrebte erhöhte Perspektive hatte letztendlich einen entscheidenden Hintergrund, unsere physischen Voraussetzungen.
Dazu eine kurze Erklärung der im Moment als am besten angesehenen Körpermaße im 470er Herrenbereich. Die Vorschoter sollten schon die 1,80m haben und dürfen sich vom Gewicht etwas über den 70kg bewegen. Im Gegensatz dazu wiegt ein optimaler Steuermann nicht mehr als 65kg und ist dementsprechend auch meist nicht größer als 1,70. Zusammen sollten beide 135kg auf die Waage bringen. Und es ist immer besser, wenn der Steuermann noch leichter ist, dann kann der Vorschoter mit den zusätzlichen Kilos vorne arbeiten. Da es für mich, mit meinen 1,82m aber nahezu unmöglich ist stabil unter die 68kg zu kommen und sich dabei im eigenen Körper auch noch wohl zu fühlen, waren Silas und ich stets die "kräftigen" auf dem Teich. Natürlich stehen Erfolg und Gewicht bzw. passende Körpermaße nicht eins zu eins im Verhältnis zu einander. Dennoch schleppt man dieses Wissen stets mit sich herum. Gerade bei wenig Wind und steiler Welle aufs Wasser zu gehen und sich innerlich sicher zu sein, auch nur konkurrenzfähig zu sein, war für uns über die Jahre ein nahezu unmögliches Unterfangen.
Ähnlich verhielt es sich bei Tjorben und Hjalte Studt. Nur, dass sie das Problem von der anderen Seite aus kannten. Denn beide sind um die 1,70m, dementsprechend auch eher leichter und Hjalte fehlt vorne im Trapez der mitentscheidende Hebel, um genug Druck auf den Mast zu bringen. Auf lange Sicht war es also abzusehen, dass die beiden Jungs bei bestimmten Bedingungen, Probleme bekommen würden, auf internationalem Niveau konkurrenzfähig zu sein.
Beiden Teams wurde also von Hendrik vorgeschlagen sich zu durchmischen. Genauer gesagt sollten die beiden Großen, also Silas und ich nach vorne ins Trapez und die Kleinen, Tjorben und Hjalte, nach hinten ans Steuer. So wollten wir mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Generell lässt sich über eine solche Teamzusammenführung sagen, dass sie in erfolgreichen Segelnationen schon seit Jahren konsequent betrieben wird. Schon im Juniorenbereich, also bei Sportlern unter 24 Jahren, sieht man international quasi keinen Steuermann mit meiner Körpergröße. Selbst einige Trainer, die mich noch nicht lange kennen, halten mich im ersten Moment meist für einen Vorschoter. In Ländern, wie Neu-Seeland, Australien oder auch England wird meist schon beim Umstieg aus dem Opti hin zu Jugendbootsklassen auf die erforderlichen Körperlichen Voraussetzungen geachtet, um später in den olympischen Bootsklassen erfolgreich segeln zu können. In Deutschland ist ein solch strukturierter Umgang mit dem Zusammenstellen von Teams noch überhaupt nicht üblich und so mussten wir uns diesem Problem Ende dieses Sommers stellen.
Nach dem Vorschlag, Mitte August, dauerte es noch eine ganze Weile, bis wir vier uns entschlossen hatten, unsere bekannten Teams aufzubrechen und etwas Neues zu versuchen.
Für mich war der Prozess auch ein eher schleppender. Für meine 20 Jahre stand ja auch eine relativ grundlegende Entscheidung ins Haus. Was möchte ich in meinem Leben eigentlich erreichen? Wo möchte ich hin? Gerade da ich ein ziemlich ehrgeiziger junger Mann bin, was wir im Übrigen alle sind, will ich nicht zu viel Zeit und Energie in ein Projekt stecken, an dem der Misserfolg quasi abzusehen ist. Deswegen stand für mich tatsächlich relativ schnell der Entschluss fest, die gemeinsame Karriere mit Silas zu beenden. Wir haben uns zwar zusammen durch dick und dünn gekämpft, aber manchmal muss man einfach erkennen, wann man ein Projekt lieber zur Ruhe legen sollte, als verbissen weiter zu kämpfen. Zu meinem Glück war Silas für sich zu dem selben Schluss gekommen und wir können meiner Meinung nach sehr zufrieden sein, mit dem Weg, den wir zusammen gegangen sind, wie wir ihn gegangen sind und wie wir ihn zu Ende gehen lassen haben.
Doch damit war natürlich noch nicht unser beider Zukunft geklärt, denn wir sind beide auch zu dem Schluss gekommen, dass wir weiter segeln möchten. Irgendwas an diesem Sport hat es uns so angetan, dass wir uns trotz der wohl besten Möglichkeit zum Aufhören, dazu entscheiden weiterhin Freunde, Familie und das Studentenleben hinten anzustellen und einen Sport auf eine nahezu professionelle Art und Weise zu betreiben.
Mit diesen Entscheidungen trafen natürlich auch sofort neue zu klärende Fragen ein. Zunächst, zu welchem Entschluss sind die beiden Studt-Brüder gekommen? Und nachdem klar, dass auch sie dem Projekt nicht komplett abgeneigt gegenüber standen, lagen einige Wochen mit mehreren Gesprächen, Telefonaten und Diskussionen vor uns. Ein solcher Wechsel kann halt nicht einfach vollzogen werden, es müssen alle wichtigen Fragen und Bedenken geklärt sein. Gerade damit wir mögliche Probleme im Voraus erkennen und lösen können. Silas und mir war es quasi von Anfang an am liebsten weiter im 470er zu segeln und so Bekanntes und Erlerntes einsetzen zu können, aber letztlich war dies auch nur ein Wunsch und kein Zwang. Mitte Oktober hatten wir für unser neues gemeinsames Projekt dann die Grundlagen gelegt und bereits in den ersten gemeinsamen Einheiten vor Schilksee war zu erahnen, dass die Lücke zu unserem alten Level viel kleiner ist, als auf dem Papier vielleicht vermutet. Diese Trainings waren zwar zunächst nur zum Testen angedacht, de facto ist aber keiner von uns danach noch einmal in der alten Konstellation aufs Wasser gegangen. Die erste beim Wechsel zu klärende Frage, fiel uns von Anfang an nicht wirklich schwer zu beantworten. Es ging dabei um die Team Zusammenstellung. Sprich wer segelt mit wem? Letztendlich gab es zwei Möglichkeiten. Entweder wir bauen ein Team, in dem sich ein gelernter Vorschoter und ein gelernter Steuermann findet und anders herum, also quasi ein gutes und ein schlechtes Team oder wir durchmischen die Entwicklungsstufen und bringen zwei Teams mit einem sehr ähnlichen Level an den Start. Letzteres war von Anfang an unser Favorit, das lag auch mit an einer grundlegenden Einstellungsfrage von uns vieren. Wir planen uns vier vielmehr als ein Team aus vier Sportlern zu sehen, als zwei Teams mit "nur" gemeinsamen Wurzeln. Im Kern des ganzen liegt die Idee, dass wir uns zu viert viel besser pushen können und erreichen werden, als nur zu zweit. Dementsprechend wollten wir mit zwei Teams an den Start gehen, die ungefähr dem gleichen Level entsprechen. Also probierten wir es von der ersten Einheit an mit Hjalte, vormals Vorschoter, als neuem Steuermann von Silas und Tjorben, schon immer Steuermann, mit dem Neuling, Vorschoter Max im Trapez.
In dieser neuen Konstellation waren wir bereits zu zwei Trainingslagern, eins in Dänemark und eins vor unserem ehemaligen Heimrevier Warnemünde. Verständlicher Weise sind beide Teams noch nicht auf unserem einstigen Level aber die überraschend schnelle Entwicklung von Hjalte und mir lässt doch hoffen. Es ist auf jeden Fall zu bemerken, dass wir uns in unserem Leben schon etwas mit dem 470er auseinandergesetzt haben. Es sind nur wenige grundlegende Fragen zu stellen und viele der Bewegungsabläufe da vorne konnte ich mir ja lange aus erster Hand anschauen. Es ist wirklich Bemerkenswert, wie sehr einem die jeweils andere Perspektive auf der neuen Perspektive weiterhilft.
Aktuell sind wir kurz vor unserem ersten gemeinsamen Wettkampf in Imperia, Italien. Natürlich können wir unser kommendes Ergebnis quasi gar nicht abschätzen, aber der ein oder andere Lichtblick sollte bei beiden Teams doch zu erwarten sein. Und dann mal schauen wie es weitergeht. Für mich stehen diesen Winter viele Kraftraumbesuche auf dem Programm, um im nächsten Sommer Stundenlang im Trapez rumklettern zu können. Ab Mitte Februar des nächsten Jahres sind wir vier dann alle wieder auf dem Wasser.
Das Trainingsjahr beginnt, in fast schon klassischer Weise, mit mehreren Trainingsblöcken auf Mallorca um die müden Knochen wieder warm zu bekommen. Entscheidend wird es dann nächstes Jahr zur Juniorenweltmeisterschaft auf dem Lago Bracciano in der Nähe von Rom und davor bei der Junioreneuropameisterschaft in Sesimbra, Porugal. Zielstellung für beide Mannschaften: Medalraces erreichen.